
Die entscheidende Frage bei einem Unfall mit Autopilot ist nicht, ob Fahrer oder Hersteller haften, sondern wer seine Sorgfaltspflicht lückenlos beweisen kann.
- Bei Systemen des Levels 2 (z. B. Tesla) liegt die Beweislast immer beim Fahrer, da eine ständige Überwachungspflicht besteht.
- Bei Level-3-Systemen (z. B. Mercedes Drive Pilot) geht die Haftung unter bestimmten, vom System protokollierten Bedingungen auf den Hersteller über.
Empfehlung: Dokumentieren Sie Ihr Verhalten und verstehen Sie die Systemgrenzen Ihres Fahrzeugs genau. Die im Event Data Recorder (EDR) gespeicherten Daten sind im Ernstfall der entscheidende Zeuge vor Gericht.
Stellen Sie sich eine typische Situation auf einer deutschen Autobahn vor: Sie fahren in Ihrem modernen Fahrzeug, der „Autopilot“ ist aktiviert und hält Geschwindigkeit sowie Abstand. Plötzlich bremst das vor Ihnen fahrende Auto abrupt. Ihr Fahrzeug reagiert nicht schnell genug, es kommt zum Auffahrunfall. Die Polizei trifft ein und die Schuldfrage steht im Raum. Haben Sie einen Fehler gemacht oder hat die Technik versagt? Diese Frage beschäftigt immer mehr Autofahrer und ist juristisch weitaus komplexer, als es die Werbeversprechen der Hersteller vermuten lassen.
Die landläufige Meinung schwankt oft zwischen zwei Extremen: Entweder wird dem Fahrer die volle Verantwortung zugeschrieben, da er jederzeit hätte eingreifen müssen, oder es wird pauschal der Hersteller in die Pflicht genommen, dessen „intelligentes“ System den Unfall nicht verhindert hat. Die rechtliche Realität in Deutschland ist jedoch keine einfache Entweder-oder-Entscheidung. Sie hängt von präzisen technischen und rechtlichen Details ab, die in den Fahrzeugdaten sekundengenau aufgezeichnet werden.
Der Kern des Problems liegt oft in einem gefährlichen Missverständnis, das durch Marketingbegriffe wie „Autopilot“ genährt wird. Doch die wahre juristische Sicherheit liegt nicht im blinden Vertrauen auf die Technik, sondern im Verständnis ihrer Grenzen und in der Fähigkeit, das eigene, korrekte Verhalten im entscheidenden Moment nachweisen zu können. Dieser Artikel beleuchtet aus der Perspektive eines Fachanwalts für Verkehrsrecht die entscheidenden „juristischen Sollbruchstellen“ – die Momente, in denen sich die Haftung entscheidet. Wir analysieren, wie die Beweislage funktioniert, welche konkreten Fehler fatale Folgen haben und wie Sie sich als Fahrer rechtssicher verhalten, wenn die Technik an ihre Grenzen stößt.
Um diese komplexe Materie zu durchdringen, gliedert sich dieser Artikel in klare Abschnitte. Wir werden die psychologischen Fallstricke des Vertrauens in Assistenzsysteme aufdecken, die rechtssicheren Verhaltensweisen bei einer Kontrollübergabe detailliert beschreiben und die führenden Systeme auf dem deutschen Markt vergleichen. Zudem werfen wir einen Blick auf die Risiken durch Ablenkung, den kritischen Umgang mit Ihren Fahrzeugdaten und die Rolle der Dashcam als Beweismittel.
Inhaltsverzeichnis: Haftungsfallen und rechtliche Klarheit beim autonomen Fahren
- Warum vertrauen 60 % der Fahrer ihren Assistenzsystemen zu blind?
- Wie verhalten Sie sich rechtssicher, wenn das System die Kontrolle abgibt?
- Tesla FSD oder Mercedes Drive Pilot: Welches System bietet auf der Autobahn mehr Sicherheit?
- Der Fehler beim Spurwechselassistenten, der auf der Autobahn lebensgefährlich ist
- Wann werden deutsche Städte wirklich bereit für vollautonome Taxis sein?
- Das Risiko durch zusätzliche Displays, das zum Bußgeld führen kann
- Der Fehler bei der Datenfreigabe, der Ihre Bewegungsprofile öffentlich macht
- Ist die Nutzung von Dashcams als Beweismittel vor deutschen Gerichten erlaubt?
Warum vertrauen 60 % der Fahrer ihren Assistenzsystemen zu blind?
Das Kernproblem der Haftungsdebatte beginnt im Kopf des Fahrers. Eine gefährliche Diskrepanz klafft zwischen der suggerierten Leistungsfähigkeit der Assistenzsysteme und ihrer tatsächlichen rechtlichen Einstufung. Marketingbegriffe wie „Autopilot“ oder „volles Potenzial für autonomes Fahren“ erwecken den Eindruck einer fast vollständigen Autonomie, die in der Realität nicht existiert. Dies führt zu einer trügerischen Sicherheit und übermäßigem Vertrauen. Untersuchungen zeigen, dass sich mehr als 60 % der Fahrer zu stark auf ihre Assistenzsysteme verlassen und ihre eigene Überwachungspflicht vernachlässigen.
Dieses Phänomen ist juristisch hochproblematisch. Deutsche Gerichte haben hier bereits eine klare Linie gezogen. So urteilte das Landgericht München I gegen Tesla und untersagte die Verwendung irreführender Werbeaussagen, da diese den Verbraucher fälschlicherweise annehmen lassen, das Fahrzeug könne technisch und rechtlich autonom fahren. In der Urteilsbegründung heißt es unmissverständlich:
Die Verwendung des Begriffs ‚Autopilot‘ und anderer Formulierungen suggeriert, die Autos könnten technisch völlig autonom fahren. Echtes autonomes Fahren, also Fahren ohne menschliches Eingreifen, ist mit den Fahrassistenzsystemen von Tesla nicht möglich.
– Landgericht München I, Urteil gegen Tesla Deutschland, 2020
Fallstudie: Das Tesla-Urteil in Deutschland
Das Landgericht München I untersagte Tesla, mit den Begriffen „volles Potenzial für autonomes Fahren“ und „Autopilot inklusive“ zu werben. Die Richter argumentierten, dass diese Aussagen irreführend sind, da die angebotenen Systeme dem SAE-Level 2 entsprechen. Bei diesem Level ist der Fahrer rechtlich verpflichtet, das System permanent zu überwachen und jederzeit eingriffsbereit zu sein. Die Werbung suggerierte jedoch eine höhere Autonomie (Level 4 oder 5), die eine solche Überwachung nicht mehr erfordert. Dieses Urteil unterstreicht, dass die juristische Realität und nicht die Marketing-Bezeichnung die Haftungsgrundlage bildet.
Die Konsequenz für den Fahrer ist eindeutig: Solange ein System als Level 2 klassifiziert ist, bleibt die volle rechtliche Verantwortung bei ihm. Jeder Unfall, der durch eine verspätete oder ausbleibende Reaktion des Fahrers verursacht wird, fällt auf ihn zurück – unabhängig davon, wie fortschrittlich sich das System anfühlt. Die digitale Sorgfaltspflicht verlangt, die Systemgrenzen zu kennen und sich nicht von wohlklingenden Namen täuschen zu lassen.
Wie verhalten Sie sich rechtssicher, wenn das System die Kontrolle abgibt?
Der kritischste Moment für die Haftungsfrage ist die sogenannte Übernahmeaufforderung – der Punkt, an dem das System den Fahrer auffordert, die Kontrolle wieder vollständig zu übernehmen. Juristen bezeichnen dies als „juristische Sollbruchstelle“, denn hier entscheidet sich, wer für die folgenden Ereignisse haftet. Das richtige Verhalten in diesen Sekunden ist entscheidend und wird vom Fahrzeug lückenlos dokumentiert. Tatsächlich verfügen nach aktuellen Angaben nahezu 100 % der modernen Fahrzeuge mit Assistenzsystemen über Event Data Recorder (EDR), die jede Interaktion aufzeichnen.
Die rechtlichen Anforderungen an die Reaktion des Fahrers unterscheiden sich fundamental je nach Automatisierungslevel:
- Bei Level-2-Systemen (z. B. Tesla Autopilot, VW Travel Assist): Es gibt keine „echte“ Übernahmeaufforderung, da der Fahrer rechtlich die Kontrolle nie abgegeben hat. Er muss permanent und ohne Verzögerung eingriffsbereit sein. Jede Sekunde der Unaufmerksamkeit kann im Falle eines Unfalls als grobe Fahrlässigkeit gewertet werden. Die Frage „Darf man mit Autopilot schlafen?“ ist hier mit einem klaren und unmissverständlichen Nein zu beantworten.
- Bei Level-3-Systemen (z. B. Mercedes-Benz Drive Pilot): Hier hat der Fahrer die Fahraufgabe legal an das Fahrzeug übergeben. Das System muss ihm eine ausreichende Reaktionszeit von mehreren Sekunden für die Übernahme einräumen. Erfolgt der Unfall innerhalb dieser Frist, weil das System z. B. zu spät gewarnt hat, haftet der Hersteller. Reagiert der Fahrer nach der Aufforderung nicht oder zu spät, geht die Haftung wieder auf ihn über.
Im Falle eines medizinischen Notfalls des Fahrers, der eine Übernahme unmöglich macht, greift in Deutschland eine besondere Regelung. Nach § 1e StVG ist das Fahrzeug verpflichtet, ein „Minimal Risk Maneuver“ durchzuführen, also das Fahrzeug in einen Zustand minimalen Risikos zu versetzen, beispielsweise durch Anhalten auf dem Seitenstreifen. Die genaue Reaktion auf eine Übernahmeaufforderung ist somit kein Raten, sondern ein klar definierter rechtlicher Prozess. Die Daten aus dem EDR dienen vor Gericht als objektiver Zeuge darüber, ob der Fahrer seiner digitalen Sorgfaltspflicht nachgekommen ist.
Tesla FSD oder Mercedes Drive Pilot: Welches System bietet auf der Autobahn mehr Sicherheit?
Auf dem deutschen Markt stehen sich vor allem zwei Philosophien des assistierten Fahrens gegenüber: Teslas „Full Self-Driving“ (FSD) Beta und der „Drive Pilot“ von Mercedes-Benz. Obwohl beide Systeme technologisch beeindruckend sind, ist ihr rechtlicher Status in Deutschland fundamental verschieden – mit direkten Auswirkungen auf die Haftung des Fahrers. Die Frage nach der „Sicherheit“ ist daher nicht nur eine technische, sondern vor allem eine juristische.
Teslas System, trotz seines Namens, ist in Deutschland rechtlich als SAE-Level 2 eingestuft. Das bedeutet, der Fahrer ist zu jeder Zeit voll verantwortlich und muss das System permanent überwachen. Nebentätigkeiten wie das Lesen von E-Mails oder das Schauen von Videos sind streng verboten. Der „Autopilot“ ist lediglich ein sehr fortschrittlicher Fahrassistent.
Der Mercedes-Benz Drive Pilot hingegen ist das weltweit erste System mit einer international gültigen Zertifizierung für hochautomatisiertes Fahren nach SAE-Level 3. Diese Zertifizierung durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ist ein juristischer Meilenstein. Sie erlaubt es dem Fahrer, unter bestimmten Bedingungen – auf geeigneten Autobahnabschnitten und bis zu einer bestimmten Geschwindigkeit – die Fahraufgabe legal an das Fahrzeug abzugeben. In diesen Phasen übernimmt Mercedes-Benz die Haftung. Der Fahrer darf sich Nebentätigkeiten widmen. Mercedes-Benz bestätigt, dass alle 13.191 Autobahnkilometer in Deutschland für das Fahren mit dem Drive Pilot freigegeben sind, was die praktische Nutzbarkeit unterstreicht.

Der folgende Vergleich macht die Unterschiede deutlich, die für jeden Fahrer in Deutschland von entscheidender Bedeutung sind.
| Kriterium | Tesla FSD | Mercedes Drive Pilot |
|---|---|---|
| SAE-Level | Level 2 (Fahrer haftet immer) | Level 3 (Hersteller haftet unter Bedingungen) |
| KBA-Zulassung | Nicht als hochautomatisiert zugelassen | Offiziell zertifiziert seit 2022 |
| Max. Geschwindigkeit | Keine rechtliche Freigabe für autonomes Fahren | 95 km/h ab 2025 (vorher 60 km/h) |
| Haftungsübernahme | Nie – Fahrer trägt volle Verantwortung | Ja, unter definierten Bedingungen |
| Erlaubte Nebentätigkeiten | Keine – ständige Überwachungspflicht | Lesen, Videos schauen, arbeiten erlaubt |
Aus rein juristischer Sicht bietet der Mercedes Drive Pilot dem Fahrer in Deutschland eine deutlich höhere Sicherheit, da die Haftungsübernahme durch den Hersteller klar geregelt ist. Der Fahrer bewegt sich in einem definierten rechtlichen Rahmen, während der Tesla-Fahrer stets in der Grauzone der Eigenverantwortung agiert.
Der Fehler beim Spurwechselassistenten, der auf der Autobahn lebensgefährlich ist
Spurwechselassistenten gehören zu den häufigsten und nützlichsten Funktionen moderner Fahrassistenzsysteme. Sie vermitteln ein hohes Maß an Komfort und Sicherheit, doch gerade hier lauert eine der größten Gefahren: die Fehleinschätzung der Systemgrenzen durch den Fahrer. Der typische Fehler besteht darin, dem System die alleinige Verantwortung für den gesamten Spurwechselvorgang zu überlassen, ohne die Umgebung selbstständig und vollständig zu prüfen. Dies ist besonders bei hohen Geschwindigkeiten auf der Autobahn lebensgefährlich.
Die Systeme basieren auf Sensoren (Radar, Kameras), die ihre Grenzen haben. Starker Regen, Nebel, tiefstehende Sonne oder eine verschmutzte Sensorik können die Erfassungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Viele Fahrer gehen fälschlicherweise davon aus, dass das System unter allen Umständen ein sich näherndes Fahrzeug im toten Winkel erkennen wird. Eine Untersuchung der US-Verkehrsbehörde NHTSA zu Unfällen mit Tesla-Fahrzeugen kam zum Ergebnis, dass der „Autopilot“ zwar technisch oft einwandfrei funktionierte, aber seine Auslegung primär auf die Vermeidung von Auffahrunfällen und nicht auf komplexe Spurwechselsituationen bei hoher Geschwindigkeit abzielte. Die Schuld wurde konsequent dem Fahrer zugewiesen, der die Systemgrenzen missachtet hatte.
Diese Grenzen sind keine theoretischen Annahmen, sondern fest programmierte Bedingungen. So bestätigen Hersteller wie Mercedes-Benz, dass sich ihre Level-3-Systeme bei bestimmten Bedingungen automatisch deaktivieren. Dazu gehören nicht nur Wetterphänomene, sondern auch Baustellen oder Tunnel. Der Fahrer muss also stets mental darauf vorbereitet sein, dass die Unterstützung jederzeit enden kann. Ein Spurwechsel, der blind auf die Technik vertrauend eingeleitet wird, stellt eine grobe Verletzung der Sorgfaltspflicht dar und führt im Falle eines Unfalls unweigerlich zur vollen Haftung des Fahrers.
Die goldene Regel lautet daher: Ein Spurwechselassistent ist ein unterstützendes Werkzeug, keine Entscheidungseinheit. Der Schulterblick, die Kontrolle der Spiegel und die Einschätzung der Verkehrslage bleiben die unersetzliche und rechtlich bindende Aufgabe des Menschen am Steuer. Wer sich darauf verlässt, dass die grüne Leuchte im Display eine Garantie für einen gefahrlosen Spurwechsel ist, begeht einen potenziell fatalen Irrtum.
Wann werden deutsche Städte wirklich bereit für vollautonome Taxis sein?
Die Vision von fahrerlosen Robotaxis, die autonom durch deutsche Innenstädte navigieren, fasziniert und wird von vielen als die Zukunft der urbanen Mobilität gesehen. Doch wann wird diese Vision Realität? Anders als oft dargestellt, ist die größte Hürde nicht mehr allein die Technologie, sondern die Schaffung eines umfassenden rechtlichen und infrastrukturellen Rahmens. Deutschland hat hierbei eine weltweite Vorreiterrolle eingenommen.
Bereits im Juli 2021 hat die Bundesregierung das „Gesetz zum autonomen Fahren“ verabschiedet. Es ist der weltweit erste Rechtsrahmen, der den Betrieb von fahrerlosen Kraftfahrzeugen des SAE-Levels 4 im öffentlichen Straßenverkehr grundsätzlich erlaubt. Level 4 bedeutet, dass das Fahrzeug die Fahraufgabe dauerhaft und ohne erforderliche Überwachung durch einen Menschen bewältigen kann, allerdings nur innerhalb eines vorab definierten und genehmigten Betriebsbereichs („Operational Design Domain“). Genau hier liegt der Schlüssel zur Beantwortung der Frage.
Wie das Bundesministerium für Verkehr und Digitales betont, geht es um einen schrittweisen und kontrollierten Prozess:
Deutschland hat den weltweit ersten Rechtsrahmen geschaffen, der den Einsatz fahrerloser Kraftfahrzeuge (Level 4) auf öffentlichen Straßen – örtlich begrenzt in einem sogenannten festgelegten Betriebsbereich – über die reine Erprobung hinaus ermöglicht.
– Bundesministerium für Verkehr, Gesetz zum autonomen Fahren, Juli 2021
Die Einführung wird also nicht flächendeckend erfolgen, sondern in sorgfältig ausgewählten Zonen. Dies können beispielsweise feste Routen zwischen einem Messegelände und einem Flughafen oder definierte Quartiere in einer Smart City sein. Aktuell fördert das Bundesministerium für Verkehr bereits 41 Vorhaben mit rund 90 Millionen Euro, um den Einsatz in der Praxis zu erproben. Diese Projekte sammeln wertvolle Daten über die Interaktion der autonomen Fahrzeuge mit unvorhersehbaren urbanen Ereignissen: Fußgänger, die plötzlich die Straße überqueren, falsch geparkte Lieferwagen oder komplexe Baustellensituationen. Bevor eine Stadt also „bereit“ ist, müssen nicht nur die Fahrzeuge zertifiziert, sondern auch die Betriebsbereiche digital kartiert, genehmigt und die Haftungsfragen für den sogenannten „technischen Aufseher“ (eine Person, die die Flotte aus der Ferne überwacht) geklärt sein. Ein flächendeckender Einsatz in allen deutschen Städten ist daher vor 2030 kaum realistisch.
Das Risiko durch zusätzliche Displays, das zum Bußgeld führen kann
Die zunehmende Digitalisierung des Cockpits bringt eine neue Gefahr mit sich: die Ablenkung durch Bildschirme. Während bei Level-3-Systemen wie dem Mercedes Drive Pilot bestimmte Nebentätigkeiten auf dem Zentraldisplay ausdrücklich erlaubt sind, sieht die Rechtslage bei den weit verbreiteten Level-2-Systemen völlig anders aus. Hier kann bereits ein kurzer Blick auf das Smartphone oder die Bedienung des Touchscreens im falschen Moment zu empfindlichen Strafen führen.
Die rechtliche Grundlage ist eindeutig: § 23 Abs. 1a der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) verbietet die Nutzung elektronischer Geräte, die der Kommunikation, Information oder Organisation dienen, wenn dafür das Gerät aufgenommen oder gehalten wird. Bei fest verbauten Bildschirmen ist nur eine „kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung“ erlaubt. Was „kurz“ bedeutet, ist Auslegungssache der Gerichte und bietet ein erhebliches rechtliches Risiko.
Die Unterscheidung nach SAE-Level ist hier absolut entscheidend:
- Bei Level 2 (z.B. Tesla Autopilot): Da der Fahrer permanent zur Überwachung verpflichtet ist, gilt jede Nutzung von Displays, die über eine kurze Blickzuwendung hinausgeht, als ordnungswidrige Ablenkung. Das Beantworten einer E-Mail oder das Schauen eines Videos ist hier genauso strafbar wie ohne aktivierten Assistenten. Die Konsequenzen sind ein Bußgeld von bis zu 200 Euro, 2 Punkte in Flensburg und ein Fahrverbot.
- Bei Level 3 (z.B. Mercedes Drive Pilot): Ist das System aktiv und die Haftung beim Hersteller, erlaubt § 1b des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) ausdrücklich „fremde Nebentätigkeiten“. Der Fahrer darf sich also legal vom Verkehrsgeschehen abwenden und die Displays für Arbeit oder Unterhaltung nutzen. Diese Erlaubnis endet jedoch schlagartig mit der Übernahmeaufforderung durch das System.
Die Gefahr liegt darin, die Fähigkeiten eines Level-2-Systems zu überschätzen und sich Freiheiten herauszunehmen, die nur bei Level 3 legal wären. Ein Fahrer, der sich auf seinen „Autopiloten“ verlässt und dabei sein Smartphone bedient, begeht einen klaren Verstoß, der im Falle eines Unfalls oder einer Polizeikontrolle gravierende Folgen hat. Die Annahme, der Assistent würde schon aufpassen, ist ein Trugschluss, der teuer werden kann.
Der Fehler bei der Datenfreigabe, der Ihre Bewegungsprofile öffentlich macht
Moderne Fahrzeuge sind rollende Computer, die permanent Daten sammeln. Diese Daten sind für die Funktion von Assistenzsystemen unerlässlich, stellen aber auch ein erhebliches Risiko für die Privatsphäre des Halters dar. Wie das § 1g StVG vorschreibt, müssen 100 % der Level-3/4-Fahrzeuge umfangreiche Fahrzeugdaten speichern, um im Falle eines Unfalls die Haftungsfrage klären zu können. Doch darüber hinaus sammeln Hersteller oft weit mehr Informationen: von GPS-Positionen über Fahrstil bis hin zu Spracheingaben. Der größte Fehler, den viele Fahrer begehen, ist die sorglose Zustimmung zu allen Datenschutzbestimmungen bei der Inbetriebnahme des Fahrzeugs, ohne die Einstellungen zu prüfen.
Dadurch können detaillierte Bewegungs- und Nutzungsprofile entstehen, die für Marketingzwecke genutzt oder an Dritte weitergegeben werden. Als Fahrzeughalter sind Sie jedoch nicht machtlos. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gibt Ihnen wirksame Werkzeuge an die Hand, um die Kontrolle über Ihre Daten zurückzuerlangen. Es ist entscheidend, diese Rechte aktiv zu nutzen, anstatt sich auf die Standardeinstellungen der Hersteller zu verlassen.
Die meisten Fahrzeughersteller bieten in den Menüs ihrer Infotainmentsysteme detaillierte Einstellungsmöglichkeiten zum Datenschutz. Hier können Sie oft festlegen, welche Daten für welche Zwecke (z.B. personalisierte Werbung, Verkehrsflussanalyse) verwendet werden dürfen. Die Minimierung dieser Freigaben ist der erste und wichtigste Schritt zum Schutz Ihrer Privatsphäre. Viele Fahrer wissen nicht, dass sie ein Recht auf Auskunft, Berichtigung und sogar Löschung ihrer Daten haben.
Der proaktive Umgang mit den eigenen Fahrzeugdaten ist ein wesentlicher Teil der digitalen Sorgfaltspflicht im 21. Jahrhundert. Wer hier blind zustimmt, riskiert nicht nur seine Privatsphäre, sondern verliert auch die Kontrolle über wertvolle persönliche Informationen.
Ihr Plan zur Durchsetzung Ihrer DSGVO-Rechte als Fahrzeughalter
- Auskunftsrecht einfordern: Verlangen Sie von Ihrem Fahrzeughersteller eine detaillierte Auskunft nach Art. 15 DSGVO darüber, welche Daten über Sie und Ihr Fahrzeug gespeichert sind.
- Tracking minimieren: Gehen Sie aktiv in das Datenschutz-Menü Ihres Fahrzeugs und deaktivieren Sie alle nicht zwingend erforderlichen Datenerhebungen, insbesondere für Werbezwecke.
- Löschung beantragen: Stellen Sie einen Löschungsantrag nach Art. 17 DSGVO für alle Daten, die für die Fahrzeugfunktion oder gesetzliche Pflichten nicht mehr notwendig sind.
- Beschwerde einreichen: Bei Verstößen oder unzureichender Auskunft durch den Hersteller haben Sie das Recht, sich an den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) zu wenden.
- Regelmäßig prüfen: Kontrollieren Sie die Datenschutzeinstellungen und -erklärungen Ihres Herstellers in regelmäßigen Abständen, da diese sich mit Software-Updates ändern können.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Haftung hängt vom SAE-Level ab: Bei Level 2 (z. B. Tesla) haftet immer der Fahrer, bei Level 3 (z. B. Mercedes) unter bestimmten Bedingungen der Hersteller.
- Der entscheidende Moment ist die Übernahmeaufforderung: Die Reaktion des Fahrers wird vom Event Data Recorder (EDR) aufgezeichnet und ist vor Gericht ein zentrales Beweismittel.
- Systemgrenzen kennen: Marketing-Begriffe wie „Autopilot“ sind rechtlich irrelevant. Der Fahrer muss die technischen Grenzen (Wetter, Sensorik) kennen und seine Sorgfaltspflicht erfüllen.
Ist die Nutzung von Dashcams als Beweismittel vor deutschen Gerichten erlaubt?
Angesichts der komplexen Haftungsfragen bei Unfällen mit Assistenzsystemen suchen viele Fahrer nach Möglichkeiten, ihre eigene Sorgfalt und den Hergang eines Unfalls zu dokumentieren. Dashcams erscheinen hier als naheliegende Lösung. Lange Zeit war ihre rechtliche Zulässigkeit in Deutschland höchst umstritten, doch ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hat für mehr Klarheit gesorgt. Grundsätzlich gilt: Ja, Dashcam-Aufnahmen können als Beweismittel in einem Zivilprozess zulässig sein, aber nur unter strengen Auflagen.
Das zentrale Problem ist der Konflikt zwischen dem Beweisinteresse des Unfallbeteiligten und dem Datenschutzrecht (insbesondere dem Recht am eigenen Bild) der anderen gefilmten Verkehrsteilnehmer. Der BGH hat in seinem Urteil eine sorgfältige Abwägung vorgenommen. Eine permanente, anlasslose Aufzeichnung des gesamten Verkehrsgeschehens ist und bleibt unzulässig und stellt einen schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Dritter dar. Solche Aufnahmen sind in der Regel nicht verwertbar.
Die Lösung liegt in der Technik der Dashcam selbst. Zulässig ist eine Aufzeichnung nur, wenn sie kurz, anlassbezogen und flüchtig ist. Dies wird durch eine sogenannte Loop-Funktion gewährleistet: Die Kamera zeichnet in kurzen Schleifen auf und überschreibt die alten Daten sofort wieder. Erst bei einem Ereignis – typischerweise durch die Auslösung eines G-Sensors bei einer starken Bremsung oder einem Aufprall – wird ein kurzes Zeitfenster vor und nach dem Ereignis dauerhaft gespeichert. Diese anlassbezogene Speicherung wurde vom BGH als verhältnismäßig und damit potenziell als Beweismittel zulässig erachtet.
Der Bundesgerichtshof formulierte dies in seiner Entscheidung wie folgt, was die Abwägung im Einzelfall betont:
Die Abwägung zwischen dem Beweisinteresse des Unfallbeteiligten und dem Datenschutzrecht der gefilmten Personen macht Dashcam-Aufnahmen unter bestimmten Voraussetzungen als Beweismittel zulässig.
– Bundesgerichtshof, Grundsatzurteil Az. VI ZR 233/17 vom 15.05.2018
Für den Fahrer bedeutet das: Eine korrekt konfigurierte Dashcam kann ein wertvolles Instrument sein, um die eigene Unschuld zu beweisen oder den Unfallhergang zu klären. Eine falsch konfigurierte Kamera hingegen produziert nicht nur unbrauchbare Beweise, sondern kann sogar zu einem Bußgeld wegen eines Datenschutzverstoßes führen. Die korrekte Konfiguration ist daher unerlässlich.
Die Klärung der Haftung bei Unfällen mit teilautomatisierten Fahrzeugen wird in Zukunft auch die Versicherungsbranche stark beschäftigen. Die Daten aus EDR und Dashcams werden zur Grundlage für die Regulierung von Schäden im Rahmen der Teilkasko- oder Vollkaskoversicherung. Um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, ist es unerlässlich, dass Sie als Fahrer nicht nur die Technik beherrschen, sondern auch die rechtlichen Spielregeln und die Funktionsweise der Beweissicherung verstehen. Überprüfen Sie daher noch heute die Datenschutzeinstellungen Ihres Fahrzeugs und machen Sie sich mit den Grenzen und Warnhinweisen Ihrer Assistenzsysteme vertraut.