
Das Durchschlängeln mit dem Motorrad im Stau ist in Deutschland unmissverständlich verboten und wird als verbotenes Rechtsüberholen gewertet, was erhebliche rechtliche und finanzielle Konsequenzen nach sich zieht.
- Es verstößt gegen § 5 der StVO, da es als Überholen auf derselben Spur oder als unzulässiges Rechtsüberholen gilt.
- Die wahren Gefahren gehen weit über das Bußgeld hinaus und umfassen schlechte Sichtbarkeit, den toten Winkel von LKW und das Versagen moderner Fahrassistenzsysteme.
Empfehlung: Verzichten Sie konsequent auf das Durchschlängeln. Positionieren Sie sich stattdessen versetzt in Ihrer Spur für maximale Sichtbarkeit und behandeln Sie Ihr Motorrad wie jedes andere Fahrzeug im Stau.
Die Szene ist jedem Motorradfahrer vertraut: Die Sonne brennt, der Asphalt flimmert und der luftgekühlte Motor strahlt eine Hitze ab, die die ohnehin schon schweißtreibenden Temperaturen unerträglich macht. Rundherum Stillstand. Die Autokolonne bewegt sich im besten Fall im Kriechtempo, während sich zwischen den Spuren eine verlockende Gasse auftut. Die Versuchung, am Stau vorbeizufahren, ist immens. Viele Biker erliegen ihr, oft in dem Glauben, es sei eine Grauzone oder eine Art Gewohnheitsrecht. Doch dieser Impuls ist nicht nur teuer, sondern auch gefährlich.
Die Diskussion dreht sich oft nur um das Bußgeld und den Punkt in Flensburg. Doch das ist eine verkürzte Sichtweise. Die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung (StVO) sind keine willkürlichen Schikanen, sondern basieren auf physikalischen Realitäten und jahrzehntelanger Unfallanalyse. Das Verbot des „Lane Splitting“, wie es im Englischen heißt, hat tiefere Gründe als nur die deutsche Ordnungsliebe. Es geht um die grundlegende Geometrie des Sehens, die Grenzen der Technik und die Psychologie im dichten Verkehr.
Dieser Artikel bricht mit der einfachen „erlaubt oder verboten“-Diskussion. Aus der Perspektive eines Verkehrsexperten beleuchten wir die rechtliche Logik hinter dem Verbot, analysieren die tatsächlichen Gefahren, die weit über einen Strafzettel hinausgehen, und zeigen auf, wie Sie sich als Motorradfahrer korrekt und vor allem sicher verhalten. Wir werden die Mythen um überhitzende Motoren, die Tücken moderner Assistenzsysteme und die seltenen, legalen Alternativen wie freigegebene Busspuren untersuchen. Ziel ist es, nicht nur die Regel zu kennen, sondern das Risiko zu verstehen und auf dieser Basis die einzig richtige Entscheidung zu treffen: die für Ihre eigene Sicherheit.
Um diese komplexe Thematik vollständig zu erfassen, gliedert sich der Artikel in klare Abschnitte, die von den rechtlichen Grundlagen bis hin zu konkreten Verhaltenstipps in verschiedenen Verkehrssituationen führen.
Inhaltsverzeichnis: Die Regeln und Risiken für Zweiräder im dichten Verkehr
- Warum wird das „Lane Splitting“ als verbotenes Rechtsüberholen gewertet?
- Wie verhalten Sie sich korrekt, wenn die Gasse blockiert ist?
- Deeskalation oder Anzeige: Was tun, wenn Sie absichtlich blockiert werden?
- Das Risiko für luftgekühlte Motoren im sommerlichen Stau
- Wann dürfen Motorräder und E-Roller Busspuren legal befahren?
- Warum werden Radfahrer an Kreuzungen von LKW-Fahrern oft „übersehen“?
- Der Fehler beim Spurwechselassistenten, der auf der Autobahn lebensgefährlich ist
- Wie verhindern Sie „Dooring“-Unfälle als Radfahrer in engen Berliner Straßen?
Warum wird das „Lane Splitting“ als verbotenes Rechtsüberholen gewertet?
Die rechtliche Einordnung des Durchschlängelns ist in Deutschland eindeutig und basiert auf der Auslegung mehrerer Paragrafen der Straßenverkehrsordnung (StVO). Entgegen der Hoffnung vieler Biker handelt es sich nicht um eine legale Grauzone. Der Kern des Problems liegt darin, dass das Vorbeifahren an wartenden Fahrzeugkolonnen juristisch als Überholvorgang gewertet wird – und dieser ist streng geregelt. Konkret werden dabei zwei Hauptverstöße begangen: das Überholen innerhalb derselben Fahrspur und, noch schwerwiegender, das verbotene Rechtsüberholen.
Diese Auslegung ist keine neue Erfindung, sondern gefestigte Rechtsprechung. Bereits 1990 urteilte das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf in einem richtungsweisenden Beschluss, dass das Manöver die Kriterien eines Überholvorgangs erfüllt. Das Gericht argumentierte schlüssig, wie es in seinem Beschluss vom 30.04.1990 festhält:
Das Hindurchschlängeln stellt ein verbotenes Rechtsüberholen dar, da die auf der Überholspur befindlichen Autos von rechts überholt werden.
– OLG Düsseldorf
Wer sich also auf der linken Spur an den dort stehenden oder langsam rollenden Fahrzeugen vorbeibewegt, überholt diese technisch gesehen rechts. Wer sich in der Mitte zwischen zwei Spuren durchbewegt, überholt die Fahrzeuge auf der linken Spur ebenfalls rechts. Zudem wird oft der vorgeschriebene seitliche Sicherheitsabstand von mindestens 1 Meter massiv unterschritten. Die Konsequenzen sind klar definiert und finanziell spürbar: Der Verstoß wird mit 100 Euro Bußgeld und 1 Punkt in Flensburg geahndet. Die folgende Tabelle verdeutlicht, wie dieser Verstoß im Vergleich zu anderen typischen Stau-Sünden eingeordnet wird.
| Verstoß | Bußgeld | Punkte | Fahrverbot |
|---|---|---|---|
| Rechtsüberholen im Stau | 100 € | 1 | – |
| Befahren des Seitenstreifens | 75 € | 1 | – |
| Nutzung der Rettungsgasse | 240 € | 2 | 1 Monat |
Das strikte Verbot dient also nicht der Schikane, sondern der Verkehrssicherheit, indem es unkalkulierbare Überholmanöver in einer ohnehin schon unübersichtlichen Situation unterbindet.
Wie verhalten Sie sich korrekt, wenn die Gasse blockiert ist?
Wenn die Versuchung, sich durch die blockierte Gasse zu schlängeln, groß wird, ist Disziplin gefragt. Das korrekte Verhalten im Stau ist für Motorradfahrer dasselbe wie für Autofahrer: Geduld bewahren und sich als vollwertiges Fahrzeug in die Kolonne einordnen. Ihre schmale Silhouette verschafft Ihnen keinen rechtlichen Sonderstatus. Die oberste Priorität ist es, für andere Verkehrsteilnehmer sichtbar und berechenbar zu bleiben. Anstatt riskante Manöver zu wagen, sollten Sie sich leicht versetzt zum Vordermann positionieren. Dies vergrößert Ihre sichtbare Fläche in dessen Rückspiegel und verhindert, dass Sie vollständig verdeckt werden.
Ein entscheidender Punkt ist die Bildung der Rettungsgasse. Auch hier gelten für Sie keine Ausnahmen. Sie müssen sich wie jedes andere Fahrzeug einordnen und dazu beitragen, den Weg für Einsatzfahrzeuge freizumachen. Die Rettungsgasse ist absolut tabu für das Vorankommen im Stau. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Rücksichtnahmegebot aus § 1 der StVO. Selbst wenn Sie glauben, im Recht zu sein, kann Ihnen bei einem Unfall eine Teilschuld zugesprochen werden, wenn Sie sich unvorsichtig verhalten haben. Ein Urteil des Landgerichts Trier zeigt dies deutlich.
Fallbeispiel: Teilschuld trotz Vorfahrt
Das Landgericht Trier sprach einer Motorradfahrerin eine Haftungsverteilung zu einem Drittel zu. Sie hatte eine Fahrzeugkolonne auf derselben Fahrspur überholt und wurde von einer Autofahrerin erfasst, die in eine Lücke wechseln wollte. Das Gericht sah bei der Bikerin einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot, da ihr Manöver für die Autofahrerin unvorhersehbar war. Dies unterstreicht, dass berechenbares Fahren im Stau entscheidend ist.
Bei längerem Stillstand, insbesondere im Hochsommer, ist es ratsam, den Motor abzustellen. Dies schont nicht nur die Technik und beugt Überhitzung vor, sondern reduziert auch die Lärm- und Abgasbelastung für alle Stau-Teilnehmer. Sollte eine Hitze-Notlage für Sie als Fahrer drohen, ist das Abstellen des Motorrads auf dem Seitenstreifen und das Suchen von Schatten die einzig sichere Option – eine Weiterfahrt auf dem Seitenstreifen ist jedoch strengstens untersagt.
Letztendlich ist die sicherste Strategie, die eigene Ungeduld zu kontrollieren und sich als integraler Bestandteil des Verkehrsflusses zu sehen, nicht als außenstehende Ausnahme.
Deeskalation oder Anzeige: Was tun, wenn Sie absichtlich blockiert werden?
Die Situation ist heikel: Ein Autofahrer fühlt sich durch Ihre bloße Anwesenheit provoziert und blockiert Ihnen absichtlich den Weg, schneidet Sie oder macht Ihnen durch aggressive Gesten seinen Unmut deutlich. In diesem Moment kochen die Emotionen hoch. Doch die wichtigste Regel lautet: Bleiben Sie ruhig und lassen Sie sich nicht auf eine Konfrontation ein. Ihre Sicherheit hat oberste Priorität. Jeder Versuch, Ihr vermeintliches Recht mit der Brechstange durchzusetzen, kann die Situation eskalieren lassen und zu Nötigung oder sogar einem Unfall führen. Aggressives Verhalten rechtfertigt niemals eine ebenso aggressive Gegenreaktion.
Stattdessen ist eine bewusste Deeskalationsstrategie gefragt. Vermeiden Sie direkten Blickkontakt, da dieser oft als Herausforderung empfunden wird. Reagieren Sie nicht auf provokative Gesten und vergrößern Sie den Sicherheitsabstand zum blockierenden Fahrzeug. Ihr Ziel muss es sein, sich so schnell wie möglich aus der unmittelbaren Gefahrenzone zu entfernen, ohne dabei selbst ein Risiko einzugehen. Ein ruhiger und besonnener Fahrer ist unangreifbar.

Sollte der andere Fahrer Sie jedoch aktiv gefährden, indem er Sie abdrängt oder zu einer Vollbremsung zwingt, überschreitet sein Verhalten die Grenze zur Straftat (Nötigung im Straßenverkehr, § 240 StGB). In einem solchen Fall sollten Sie die Konfrontation vor Ort meiden, sich aber die relevanten Informationen für eine spätere Anzeige merken. Die folgende Checkliste gibt Ihnen eine klare Handlungsanweisung für solche Konfliktsituationen.
Ihr Plan zur Deeskalation bei aggressiven Fahrern
- Konfrontation vermeiden: Verzichten Sie auf Blickkontakt und jegliche provokative Gesten oder Handzeichen. Ihre Körpersprache sollte defensiv sein.
- Abstand schaffen: Vergrößern Sie den Sicherheitsabstand zum aggressiven Fahrzeug, um sich Handlungsspielraum zu verschaffen und die Situation zu entschärfen.
- Situation dokumentieren: Merken Sie sich das Kennzeichen, Fahrzeugmodell, die Farbe sowie Zeit und Ort des Vorfalls. Wenn möglich, bitten Sie andere Zeugen um ihre Kontaktdaten.
- Nicht verfolgen: Versuchen Sie unter keinen Umständen, den Fahrer zur Rede zu stellen oder ihn zu verfolgen. Dies führt nur zu einer weiteren Eskalation.
- Anzeige erstatten: Erstatten Sie nach dem Vorfall in Ruhe eine Anzeige bei der Polizei. Bei akuter, andauernder Gefährdung kontaktieren Sie die Polizei über den Notruf 110.
Denken Sie immer daran: Der Klügere gibt nach. Ein gewonnenes Ego-Duell ist den potenziellen Preis – Ihre Gesundheit oder Ihr Leben – niemals wert.
Das Risiko für luftgekühlte Motoren im sommerlichen Stau
Ein häufig vorgebrachtes Argument für das Durchschlängeln im Stau ist die angebliche Gefahr der Überhitzung, insbesondere bei luftgekühlten Motoren. Es stimmt, dass diese Motoren auf den Fahrtwind zur Kühlung angewiesen sind und im Stillstand ihre Betriebstemperatur schnell ansteigt. Ein moderner, intakter Motor ist jedoch so konstruiert, dass er auch längere Standphasen ohne Schaden übersteht. Die Gefahr einer unmittelbaren, kapitalen Motorschädigung ist bei den meisten Motorrädern eher gering, solange das Kühlsystem (egal ob luft- oder flüssigkeitsgekühlt) ordnungsgemäß funktioniert.
Das weitaus größere und oft unterschätzte Risiko im sommerlichen Stau ist nicht technischer, sondern menschlicher Natur. Die enorme Hitze, die vom Motor und dem aufgeheizten Asphalt abstrahlt, kombiniert mit schwerer Schutzkleidung, stellt eine erhebliche Belastung für den Kreislauf des Fahrers dar. Verkehrsexperten warnen eindringlich, dass bei über 30 Grad Celsius Motorradfahrern im Stau ein Hitzschlag droht. Symptome wie Schwindel, Kopfschmerzen und Konzentrationsschwäche können sich schleichend einstellen und die Fahrtüchtigkeit massiv beeinträchtigen.
Ein überhitzter Fahrer ist ein Sicherheitsrisiko – für sich selbst und für andere. Die Reaktionszeit sinkt, die Risikobereitschaft steigt und die Fähigkeit, komplexe Verkehrssituationen zu überblicken, nimmt rapide ab. Aus diesem Grund ist es bei extremen Temperaturen und langem Stillstand die klügste Entscheidung, den Motor abzustellen. Dies reduziert nicht nur die Hitzebelastung, sondern spart auch Kraftstoff. Wenn Sie Anzeichen von Überhitzung bei sich selbst bemerken, handeln Sie sofort: Fahren Sie bei nächster Gelegenheit rechts ran (z.B. auf einen Parkplatz, nicht auf den Seitenstreifen), stellen Sie das Motorrad ab, suchen Sie Schatten und trinken Sie ausreichend Wasser.
Die technische Belastbarkeit des Motors als Ausrede für ein riskantes Fahrmanöver zu nutzen, ist daher ein Trugschluss. Die eigentliche Gefahr sitzt im Sattel, nicht im Zylinderkopf.
Wann dürfen Motorräder und E-Roller Busspuren legal befahren?
Während das Durchschlängeln im Stau eine verbotene Zone bleibt, gibt es eine legale und oft übersehene Möglichkeit, im dichten Stadtverkehr schneller voranzukommen: die Nutzung von Busspuren. Grundsätzlich sind diese Sonderspuren dem Linienverkehr und Taxis vorbehalten. Allerdings können Kommunen und Städte entscheiden, diese auch für andere Verkehrsteilnehmer freizugeben. Motorräder und E-Roller gehören zu den Fahrzeugen, die von dieser Regelung profitieren können.
Die Freigabe ist jedoch keine Selbstverständlichkeit und gilt nicht pauschal. Sie muss explizit durch ein entsprechendes Zusatzzeichen unter dem blauen Busspur-Schild (Zeichen 245) angezeigt werden. Fehlt dieses Piktogramm, das ein Motorrad oder die Aufschrift „Zweiräder frei“ zeigt, ist die Nutzung der Busspur für Sie strengstens verboten und wird mit einem Bußgeld geahndet. Diese kommunalen Einzelentscheidungen führen zu einem Flickenteppich an Regelungen in ganz Deutschland.

Einige Metropolen haben die Vorteile der Busspurfreigabe für Zweiräder erkannt, da sie den Verkehrsfluss entzerren und die Sicherheit für Biker erhöhen kann. Laut ADAC haben bereits mindestens 4 deutsche Großstädte (Düsseldorf, Hamburg, München, Leipzig) in Pilotprojekten oder dauerhaft bestimmte Busspuren für Zweiräder geöffnet. Es ist daher unerlässlich, sich vor Ort genau über die geltenden Vorschriften zu informieren und auf die Beschilderung zu achten.
Auch auf einer freigegebenen Busspur gelten jedoch klare Regeln: Vorausschauendes Fahren ist Pflicht. Rechnen Sie immer damit, dass Busse an Haltestellen anhalten oder andere Fahrzeuge unachtsam auf die Spur wechseln. Die Busspur ist kein Freifahrtschein für überhöhte Geschwindigkeit. Sie bietet eine legale Möglichkeit, dem Stau zu entgehen, aber sie entbindet nicht von der allgemeinen Pflicht zur Vorsicht und gegenseitigen Rücksichtnahme im Straßenverkehr.
Bevor Sie also das nächste Mal im Stadtverkehr feststecken, halten Sie Ausschau nach den entsprechenden Zusatzschildern – es könnte Ihr legaler Weg aus dem Stau sein.
Warum werden Radfahrer an Kreuzungen von LKW-Fahrern oft „übersehen“?
Die Frage, warum Radfahrer von LKW-Fahrern übersehen werden, ist direkt auf Motorradfahrer übertragbar. Der Grund ist eine fatale Kombination aus Fahrzeuggeometrie und menschlicher Wahrnehmung: der tote Winkel. Ein LKW ist von zahlreichen, teils riesigen nicht einsehbaren Bereichen umgeben. Besonders gefährlich ist der Bereich rechts neben dem Führerhaus und direkt vor dem Fahrzeug. Ein Zweirad – egal ob Fahrrad oder Motorrad – kann in diesen Zonen vollständig von den Spiegeln des Fahrers verschwinden. Wenn ein Motorradfahrer im Stau versucht, sich rechts an einem LKW vorbeizuschlängeln, begibt er sich zielsicher in genau diese Todeszone.
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) warnt eindringlich vor dieser Gefahr. Die schmale Silhouette eines Motorrads macht es besonders anfällig dafür, übersehen zu werden, wie der DVR in seinen Sicherheitshinweisen betont:
Ein sich im Stau durchschlängelndes Motorrad befindet sich fast zwangsläufig und dauerhaft im toten Winkel eines LKW, insbesondere in der Nähe von Autobahnausfahrten.
– Deutscher Verkehrssicherheitsrat (DVR)
Die Gefahr potenziert sich, wenn der LKW-Fahrer abbiegen oder die Spur wechseln will. Er verlässt sich auf seine Spiegel, sieht kein Fahrzeug und leitet das Manöver ein – mit potenziell tödlichen Folgen für den Biker im toten Winkel. Zwar gibt es technische Entwicklungen, die das Problem entschärfen sollen. So gilt seit 2022 in der EU eine Pflicht für Abbiegeassistenten bei neuen LKW-Typen. Diese Systeme nutzen Radar- oder Kamerasensoren, um vor Personen oder Fahrzeugen im toten Winkel zu warnen.
Doch auf diese Technik allein darf man sich niemals verlassen. Ältere LKW-Modelle sind oft nicht nachgerüstet, und auch die modernsten Systeme können unter bestimmten Bedingungen (z.B. bei schlechtem Wetter oder verschmutzten Sensoren) versagen. Die einzige wirksame Schutzstrategie für Motorradfahrer ist, sich der Existenz des toten Winkels bewusst zu sein und ihn konsequent zu meiden. Halten Sie immer so viel Abstand, dass Sie den LKW-Fahrer in seinen Seitenspiegeln sehen können – denn nur dann hat er eine Chance, Sie ebenfalls zu sehen.
Verlassen Sie sich niemals darauf, gesehen zu werden. Fahren Sie immer so, als wären Sie unsichtbar, insbesondere in der Nähe von großen Fahrzeugen.
Der Fehler beim Spurwechselassistenten, der auf der Autobahn lebensgefährlich ist
Eine trügerische Sicherheit geht von modernen Fahrassistenzsystemen aus. Viele Autofahrer, insbesondere in neueren Premium-Fahrzeugen, verlassen sich blind auf ihre Spurwechsel- und Totwinkelassistenten. Sie gehen davon aus, dass die Technik sie zuverlässig vor Kollisionen schützt. Für Motorradfahrer ist genau dieses übersteigerte Vertrauen eine der größten Gefahren auf der Autobahn. Denn die Systeme sind fehlbar – und Zweiräder gehören zu ihren größten Schwachstellen.
Tests von Automobilclubs und Fachzeitschriften zeigen immer wieder, dass die heute verbauten radar- und kamerabasierten Systeme erhebliche Probleme haben, schmale und schnelle Objekte wie Motorräder zuverlässig und rechtzeitig zu erkennen. Die Sensorik ist primär auf die Erkennung von Pkws und Lkws ausgelegt. Ein Motorrad, das sich schnell von hinten nähert oder sich im dichten Verkehr zwischen den Spuren bewegt, erzeugt ein zu kleines oder zu kurzlebiges Signal für viele Systeme. Der ADAC hat in umfassenden Tests genau dieses Systemversagen wiederholt nachgewiesen. Das System meldet „freie Bahn“, der Autofahrer wechselt die Spur – und übersieht den Motorradfahrer, der sich im Glauben an seine Sichtbarkeit nähert.
Diese technologische Schwachstelle wird durch einen psychologischen Faktor verschärft. Wie Experten der Zeitschrift „Auto Motor und Sport“ anmerken, führt der Komfort der Assistenzsysteme zu einer geringeren Aufmerksamkeit des Fahrers. Der Schulterblick, die wichtigste Absicherung vor jedem Spurwechsel, wird vernachlässigt.
Im Stau kann gerade von Fahrern neuerer Premium-Fahrzeuge eine Gefahr ausgehen, da diese sich möglicherweise zu sehr auf ihre Assistenzsysteme verlassen.
– Auto Motor und Sport
Für Sie als Motorradfahrer bedeutet das: Sie dürfen niemals davon ausgehen, dass ein Auto Sie wahrgenommen hat, nur weil es über moderne Technik verfügt. Fahren Sie extrem vorausschauend, insbesondere wenn Sie sich Fahrzeugen mit Assistenzsystemen nähern. Beobachten Sie das Verhalten des Fahrers. Versuchen Sie, Blickkontakt über den Rückspiegel herzustellen. Rechnen Sie immer damit, dass ein Spurwechsel ohne Vorwarnung und ohne Schulterblick erfolgen kann. Ihre beste Lebensversicherung ist eine defensive Fahrweise und die Annahme, dass Sie für die Technik anderer unsichtbar sind.
Die fortschrittlichste Technologie im Straßenverkehr bleibt der aufmerksame menschliche Verstand – sowohl im Auto als auch auf dem Motorrad.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Durchschlängeln im Stau ist rechtlich ein verbotenes Rechtsüberholen und wird mit 100 € und einem Punkt geahndet.
- Die größten Gefahren sind nicht die Strafen, sondern die Unsichtbarkeit im toten Winkel von LKW und das Versagen von Pkw-Assistenzsystemen.
- Korrektes Verhalten bedeutet, sich als vollwertiges Fahrzeug einzuordnen, versetzt zu fahren für bessere Sichtbarkeit und konsequent auf riskante Manöver zu verzichten.
Wie verhindern Sie „Dooring“-Unfälle als Radfahrer in engen Berliner Straßen?
Die Gefahr des „Dooring“ – die Kollision mit einer plötzlich aufgerissenen Autotür – ist ein typisches urbanes Risiko, das Radfahrer besonders fürchten. Doch was in engen Berliner Straßen für Radler gilt, ist für Motorradfahrer, die im dichten Stadtverkehr filtern, eine ebenso präsente und lebensgefährliche Bedrohung. Eine unachtsam geöffnete Tür kann für einen Biker wie eine feststehende Mauer wirken und zu schweren Stürzen führen. Die Prävention solcher Unfälle erfordert eine spezielle Art der Voraussicht und eine defensive Positionierung auf der Straße.
Der Schlüssel zur Vermeidung von Dooring-Unfällen liegt darin, zu denken wie ein aussteigender Passagier. Schauen Sie nicht nur auf das Auto vor Ihnen, sondern durch die Scheiben der parkenden Fahrzeuge. Suchen Sie aktiv nach Silhouetten von Personen im Inneren. Achten Sie auf kleinste Anzeichen, die auf ein bevorstehendes Aussteigen hindeuten könnten: aufleuchtende Innenraumbeleuchtung, Bewegungen auf den Sitzen oder ein eingeschlagenes Vorderrad, das eine Anfahrabsicht signalisieren könnte. Besondere Vorsicht ist bei Taxis und Fahrzeugen von Ride-Sharing-Diensten wie Uber oder FreeNow geboten, da hier Passagiere oft hektisch und ohne Umschweife aussteigen.
Die wichtigste aktive Schutzmaßnahme ist jedoch der Sicherheitsabstand. Halten Sie zu einer Reihe parkender Autos immer einen Abstand von mindestens 1,5 Metern. Diese Distanz entspricht der Breite einer typischen Autotür und stellt sicher, dass Sie sich außerhalb der unmittelbaren Gefahrenzone bewegen. Wenn die Straße zu eng ist, um diesen Abstand zu wahren, ist die einzig sichere Option, das Tempo drastisch zu reduzieren oder hinter dem vorausfahrenden Verkehr zu bleiben. Das Risiko einzugehen, um wenige Sekunden zu gewinnen, steht in keinem Verhältnis zu den potenziellen Folgen. Die folgenden Punkte fassen die effektivsten Techniken zusammen:
- Vorausschauendes Scannen: Blicken Sie aktiv durch die Fenster parkender Autos, um Insassen frühzeitig zu erkennen.
- Signale deuten: Achten Sie auf eingeschlagene Räder oder Bremslichter als Indiz für bevorstehende Manöver.
- Risikofahrzeuge identifizieren: Seien Sie besonders wachsam bei Taxis, Lieferwagen und Ride-Sharing-Fahrzeugen.
- Sicherheitsabstand einhalten: Fahren Sie mindestens 1,5 Meter von parkenden Fahrzeugen entfernt.
- Im Zweifel warten: Wenn der Platz nicht ausreicht, verlangsamen Sie und ordnen Sie sich ein, anstatt sich durch die Engstelle zu zwängen.
Fahren Sie vorausschauend und defensiv. Ihre Sicherheit ist wertvoller als jede gewonnene Minute im Stau. Betrachten Sie jede parkende Autotür als eine potenzielle Gefahr und handeln Sie entsprechend, um sicher ans Ziel zu kommen.